Nava Ebrahimi: Und Federn überall
Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi taucht in ihrem neuen Roman Und Federn überall (Luchterhand) ein in das Leben einer Kleinstadt in der norddeutschen Provinz und verknüpft die Geschichten von sechs Menschen zu einem mitreißenden Gesellschaftsroman über die Frage: Wie viel Menschlichkeit bewahren wir uns in einer immer härteren Zeit?
Mit Anne Burgmer spricht sie über die Vorstellung, dass alles ganz anders sein könnte.
Es war, als gäbe es ihn gar nicht. Als hätte es ihn nie gegeben, weder hier noch in Afghanistan und erst recht an keinem anderen Ort auf diesem Planeten. Das Nichtsein fühlte sich so real für ihn an, dass er aufhörte zu atmen. Er hatte sich in Luft aufgelöst, niemand hatte es mitbekommen, und niemand würde nach ihm suchen.
Nebel liegt über den Feldern und dem Kanal. Es ist, als ob der Winter nicht zu Ende gehen will in der kleinen Stadt Lasseren im Emsland. Hier auf dem platten Land ist jahrein, jahraus nicht viel los. Wer Arbeit sucht, kommt an Möllring nicht vorbei, dem riesigen Geflügelschlachthof am Stadtrand.
Für eine Handvoll Menschen beginnt die Woche mit großen Erwartungen.
Sonia, alleinerziehende Mutter, hofft auf einen Job weit weg vom Hühnchen-Zerlege-Fließband. Für die junge Ingenieurin Anna steht mit dem Testlauf eines neuen Automatisierungsverfahrens bei Möllring so gut wie alles auf dem Spiel. Merkhausen wiederum, verlassener Ehemann mit einem Faible für Polinnen und zuständig für die Prozessoptimierung im Schlachtbetrieb, fiebert einem Date am Abend entgegen.
Und dann ist da noch der geflüchtete Afghane Nassim, der sich in eine Affäre mit der zwanzig Jahre älteren Justyna verstrickt und fest daran glaubt, dass seine Gedichte die deutschen Beamten erweichen werden.
Um diese zu übersetzen, ist Roshi, deutsch-iranische Autorin, extra aus Köln angereist. Als ein rücksichtsloser Fahrradfahrer dem sehbehinderten Afghanen mitten im Ort den Blindenstock kaputt fährt, bringt Nassim es mithilfe des örtlichen Radiosenders nicht nur zu lokaler Berühmtheit. Er bringt auch die Menschen dazu, der eigenen Wahrheit ins Auge zu sehen.
Mit großer Erzähllust und beeindruckend greifbar erzählt Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin und Buch-für-die-Stadt-Autorin 2022 von sechs Lebensgeschichten zwischen Hoffnung und Resignation. »Ein wacher, reibungsvoller Roman, der uns ganz und gar mitnimmt« (NDR).
Und Federn überall steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2025.