Nora Bossong: Reichskanzlerplatz
Das Porträt der Frau, die Magda Goebbels wurde. Als Hans die junge und schöne Stiefmutter seines Schulfreunds Hellmut Quandt kennenlernt, ahnt er noch nicht, welche Rolle Magda in seinem Leben spielen wird, für ihn persönlich, aber auch Jahre später als fanatische Nationalsozialistin und Vorzeigemutter des Dritten Reichs.
Nora Bossong blickt in Reichskanzlerplatz (Suhrkamp) auf zwei Menschen in der Maschinerie der historischen Ereignisse, unterschiedlich verstrickt, unterschiedlich schuldig geworden. Es moderiert Thomas Laue.
Reichskanzlerplatz steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2024.
Magda brach mit mir, das war abzusehen gewesen. Sie hatte sich an etwas Größeres gebunden, etwas, das ihre Langweile endlich durchschlug. Liebe, das habe ich an diesem Nachmittag begriffen, ist nicht so unschuldig, wie wir gern meinen. Oder, um genau zu sein, wir werden nicht unschuldig, nur weil wir lieben, hingebungsvoll, aufopfernd, besitzergreifend, vielleicht im Rausch.
Hans kennt Magda in verschiedenen Rollen. Sie ist die Stiefmutter seines Schulkameraden Hellmut: Madame Quandt, sie wird seine Geliebte und schließlich wird sie Magda Goebbels, Ehefrau von Propagandaminister Joseph Goebbels und erste Frau des Dritten Reichs.
Der titelgebende Reichskanzlerplatz ist ab 1931 Wohnort der in Scheidung lebenden Frau Quandt. Hans und Magda haben in dieser Zeit ein Verhältnis, das eher einer zufälligen Konstellation gleicht: An ihrer Seite verdeckt Hans seine Homosexualität und vertreibt Magda die Langeweile, bis sie sich neuen Dingen zuwendet. Mit immer größer werdender Entfernung und Distanz blickt Hans auf die Frau, die ihn schließlich als blonde Vorzeigemutter aus den Illustrierten anschaut. Zugleich wird er Protagonist einer Zeit, in der sich das politische Klima ändert und man noch nicht weiß, wo es endet. Nora Bossong erzählt, wie aus Hans, selbst gefährdet und bedroht, ein Mitläufer wird. »So wird Reichskanzlerplatz zum Porträt der deutschen Gesellschaft in prekärer Zeit, zur Studie eines autonom scheinenden Charakters, der sich den Autoritäten beugt. Und der das weiß, weshalb der Zweifel auch ihm selbst gelten muss« (FAZ).