Clemens Meyer: Die Projektoren

Kriege, Nazis, Winnetou und ein jugoslawischer Cowboy: Schonungslos und rasant erzählt Die Projektoren (S. Fischer) von unserer an der Vergangenheit zerschellenden Gegenwart – und von unvergleichlichen Figuren.

Ein Epos über die Krisen Europas und die Kunst des Erzählens. Von Leipzig bis Belgrad, von der DDR bis zur Volksrepublik Jugoslawien, vom Leinwandspektakel bis zum Abenteuerroman begegnen wir dem Erzähler und Fabulierer Clemens Meyer. Über seinen lange erwarteten neuen Roman spricht er mit Uli Hufen.
Die Projektoren steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2024.

Was für einen Film sahen sie? Ein Epos über die Partisanen? Einen Liebesfilm, eine italienische Verwechslungskomödie? Viele Jahre später, als der Cowboy mit einem Wanderkino in einem alten roten Lastwagen durch endlose Steppen und fremde Berge fuhr, erinnerte er sich falsch, und er sah, wie Negosava und der Mann mit dem karierten Halstuch, der Cowboy der frühen Jahre, der er einmal gewesen war, im Bioskop von Split saßen und einen deutschen Indianerfilm sahen, doch was sind schon die richtigen Erinnerungen, und wo beginnen die Träume und wo die Märchen?

Ein Roman, der uns durch Schmerzlandschaften Osteuropas führt, von der Donau durch die Vojvodina und in die weiße Stadt, hinein ins Velebit-Gebirge und weiter bis in den Irak. Ein Roman, der von den Gräueln der Kriege erzählt, angefangen beim Massaker von Novi Sad 1942 bis zum Massaker von Vukovar 1991. Als eine Art Gegengewicht stattet Clemens Meyer den Roman mit dem literarischen Kosmos der Karl-May-Romane aus, teilweise komisch, surreal, verwirrend. Fast scheinen die Verfilmungen Anfang der 60er-Jahre als ironischer (oder tragischer?) Kontrapunkt zu Verrohung und Gewalt gewählt: Auf blutgetränkter Erde, auf der sich Menschen, die vorher Tür an Tür gelebt haben, ermorden, entstehen die naiven, romantischen deutsch-jugoslawischen Western Karl Mays, in denen nur mit Filmblei geschossen wird. Sie sind es, die die beiden Hauptfiguren des Romans in ihren Bann schlagen: Da ist der Mann mit dem roten Halstuch, den alle nur »Cowboy« nennen, der Mann der Geheimnisse, der als Kind in den Trümmern von Beograd seine Eltern sucht, als junger Partisan im Zweiten Weltkrieg kämpft und bis zuletzt an ein Jugoslawien als Gemeinschaft der südslawischen Völker glaubt. Der als Verbannter bei einem Schäfer im Gebirge Unterschlupf sucht, später nach Deutschland kommt und die Jugoslawienkriege erlebt. In den Karl-May-Verfilmungen ist er Nebendarsteller, steht Lex Barker (Old Shatterhand!) als Übersetzer zur Seite. Wirklichen Trost, wenn es den für ihn überhaupt geben kann, findet er im Bioskop und in den Helden der Projektoren: Harold Lloyd, Charlie Chaplin, Larry Semon.
Georg, die zweite Hauptfigur der Projektoren, sieht die Karl-May-Filme in den 1980er-Jahren in Leipzig, bevor er mit seinen Eltern die DDR verlässt und sich im Ruhrgebiet einer rechtsextremen Gruppe anschließt. Clemens Meyer verflicht moralische und gesellschaftliche Kaputtheit unter dem Deckmantel des Sozialismus mit einem neu entstehenden Neo-Nazismus. 1991 mischt Georg im kroatischen Bürgerkrieg mit – an der Seite der faschistischen Kämpfer.
Hunderte Seiten, die die Krisen Europas ausloten und zugleich verspielt-albern, voller erzählerischer Volten und Experimente, mit strotzender Erzähllust aufwarten.
»Clemens Meyer hat den rührendsten und grausamsten Roman der Saison geschrieben« (Spiegel).

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